Ernährung
Neuer ProVeg-Report: Chancen für alternative Proteine in der Landwirtschaft
Kathleen Gerstenberg 13. September 2022
Schon heute bedrohen extreme Klimaverhältnisse die Erträge von Landwirt:innen – und damit ihre Existenz. Der Anbau alternativer Eiweißpflanzen birgt riesiges Potenzial, um landwirtschaftliche Betriebe zukunftsfähig zu machen und gleichzeitig einen wichtigen Beitrag zum Klimaschutz zu leisten. ProVeg hat mit 20 internationalen Agrar-Organisationen gesprochen und gefragt: Was braucht es dafür?
Unser Ernährungssystem ist einer der größten Verursacher von Treibhausgasen
Hitzewellen, Niederschlagsmangel, Überschwemmungen: Die Folgen der globalen Erwärmung haben schon heute negative Auswirkungen auf die Ernte-Erträge und gefährden die Lebensmittelversorgung. Das Ernährungssystem selbst ist dabei für bis zu einem Drittel der globalen klimaschädlichen Treibhausgas-Emissionen verantwortlich.1 IPCC (2019): Climate Change and Land: an IPCC special report on climate change, desertification, land degradation, sustainable land management, food security, and greenhouse gas fluxes in terrestrial ecosystems. Online unter: https://www.ipcc.ch/srccl/download/ [16.05.2022] 2Crippa, M., E. Solazzo, D. Guizzardi, et al. (2021): Food systems are responsible for a third of global anthropogenic GHG emissions. Nature Food. Doi:10.1038/s43016-021-00225-9 doi:10.1038/s43016-021-00225-9 3Xu, X., P. Sharma, S. Shu, et al. (2021): Global greenhouse gas emissions from animal-based foods are twice those of plant-based foods. Nature Food 2(9), 724–732. Doi:10.1038/s43016-021-00358-x Das sind etwa 18 Milliarden Tonnen pro Jahr. Oder anders gesagt: etwa 4- bis 5-mal so viele Treibhausgase, wie die gesamte EU in einem Jahr verursacht.4Europäische Umweltagentur (EEA, 2020): Total greenhouse gas emission trends and projections in Europe. Online unter: https://www.eea.europa.eu/ims/total-greenhouse-gas-emission-trends [13.08.2022] Das macht Ernährung zu einer der wichtigsten Stellschrauben im Klimaschutz.
Fleisch und Milchprodukte belasten dabei das Klima mit am stärksten: Mehr als die Hälfte der ernährungsbedingten Emissionen entsteht bei der Produktion tierischer Lebensmittel. Das liegt vor allem am hohen Ausstoß von Methan: Das Treibhausgas ist beinahe 30-mal so schädlich wie CO2 und wird vor allem in den Verdauungsprozessen von Wiederkäuern und beim Ausbringen von Gülle freigesetzt.5IPCC (2014): Climate Change 2014: Synthesis Report. Contribution of Working Groups I, II and III to the Fifth Assessment Report of the Intergovernmental Panel on Climate Change [Core Writing Team, R. K. Pachauri and L. A. Meyer (eds.)]. IPCC, Geneva, Switzerland, 151 pp. Online unter: https://www.ipcc.ch/report/ar5/syr/ [10.08.2022]
Report: Amplifying Farmers’ Voices
Alle reden über die Landwirtschaft – aber die wenigsten sprechen mit den Bäuerinnen und Bauern selbst. Im „Amplifying Farmers’ Voices“-Report (auf Englisch) lässt ProVeg sie zu Wort kommen. Die interviewten 20 Agrar-Organisationen repräsentieren 300.000 Landwirt:innen aus Europa und den USA.
Wie stehen Landwirt:innen zur Klimakrise?
„Der Klimawandel ist das, was unseren Landwirt:innen am meisten Sorge bereitet“, sagt Vanessa García Polanco, Federal Policy Director, National Young Farmers Coalition (USA). „Sie suchen aktiv nach Lösungen – und sind Wegbereiter:innen für den Umweltschutz.“
Die Interviewpartner:innen hoffen vor allem auf technologische Lösungen, um klimaschädliche Praktiken zu verbessern. Auch verstehen viele, dass sich mit der Umstellung auf alternative Proteine durchaus neue attraktive Geschäftsfelder ergeben. Demgegenüber stehen hohe Investitionskosten und sich verändernde Subventionen, die die Landwirt:innen häufig verwirren und überfordern.
„Landwirte sind Geschäftsleute. Nichts hält sie davon ab, auf alternative Proteine umzusteigen, wenn Nachfrage und Umsatz die von tierischen Erzeugnissen übersteigen.“
Padraig Elsner
Pressesprecher Badischer Landwirtschaftlicher Hauptverband
Fermentation und kultiviertes Fleisch – attraktiv für Landwirt:innen?
Die Fermentation von Proteinen kann eine kosteneffiziente Möglichkeit sein, um funktionale Inhaltsstoffe und essbare Proteine in großem Maßstab herzustellen – nicht zuletzt auch deshalb, weil die benötigten Mikroorganismen zum Teil auf Nebenprodukten aus anderen Prozessen wachsen können. Das Problem: Jedes neue so erzeugte Protein muss einen langwierigen und teuren Zulassungsprozess durchlaufen.
Kultiviertes Fleisch trifft nach Aussagen der befragten Vertretungen eher noch auf Skepsis. „In den Köpfen der Farmer:innen sind alternative Proteine ein Nischen-Ding“, erklärt James Woodward, Nachhaltigkeitsbeauftragter bei Sustain UK. „Hinzu kommt eine kulturelle Hürde: Die Landwirt:innen nehmen diese Methoden nicht als Landwirtschaft wahr.“
Vertikale Landwirtschaft verbraucht weniger Fläche
Die vertikale Landwirtschaft kann eine realistische Alternative für die künftige Ausrichtung landwirtschaftlicher Betriebe sein. Die Methode nutzt übereinander gelagerte Ebenen für den Anbau und braucht keinen flachen, fruchtbaren Boden. Die Investitionskosten sind hoch, aber die Langzeit-Effekte können sich lohnen. Nicht zuletzt auch deshalb, weil ganzjährig geerntet und Prozesse leichter automatisiert werden können. Wer große Flächen zur Verfügung hat, könnte zudem Proteine in Algenanlagen produzieren, wie es beispielsweise mit Spirulina getan wird.
Wie eine pflanzliche Ernährung den Planeten schützt
Hochwasser, Waldsterben, Hitzewellen – die Auswirkungen des Klimawandels sind bereits spürbar. Unsere Ernährung ist für ein Drittel der globalen Treibhausgas-Emissionen verantwortlich. Das muss nicht sein. Eine klimafreundliche Ernährung ist bunt, abwechslungsreich und vor allem: pflanzlich.
Regenerative Landwirtschaft erhöht Biodiversität
Hinter dem Begriff „regenerative Landwirtschaft“ verbirgt sich nicht eine konkrete Praktik, sondern ein System diverser Methoden und Prinzipien. Die Idee: Orientiert an den Kreisläufen der Natur wird so angebaut, dass sich Boden und Biodiversität dabei verbessern – und sich damit letztlich auch dauerhaft gute Erträge sichern lassen. Damit reduziert sich auch der übermäßige Einsatz chemischer Stickstoffdünger. Das befreit die Landwirt:innen nicht nur aus teuren Abhängigkeiten, sondern kommt obendrein der Umwelt zugute.
„Wir müssen mit der Natur arbeiten, damit die Landwirt:innen unabhängig bleiben. Viele Kleinbäuerinnen und -bauern haben kein Geld, um jedes Jahr chemische Dünger zu kaufen.“
Jackson Buzingo
Landwirt in Tansania
Fallbeispiel: Von Milchwirtschaft zu regenerativer Landwirtschaft
Laurence Candy hat auf seiner Northwood Farm in Dorset, Großbritannien, erfolgreich von Milcherzeugung auf die regenerative Produktion pflanzlicher Bio-Erzeugnisse umgestellt (auf Englisch).
Größere Anteile der Wertschöpfungskette übernehmen
Die steigende Nachfrage nach pflanzlichen Alternativprodukten bedeutet auch eine steigende Nachfrage nach verarbeiteten Lebensmitteln. Die Weiterverarbeitung der pflanzlichen Rohstoffe findet jedoch meist nicht bei den Landwirt:innen selbst, sondern in den Produktionsanlagen anderer Unternehmen statt.
Illtud Dunsford, Bauer in Großbritannien und Geschäftsführer der Cell Ag Ltd., sieht hier unausgeschöpftes Potenzial vieler landwirtschaftlicher Betriebe, weitere Teile der Wertschöpfungskette bei sich zu verankern. So würde nicht nur ein größerer Teil der Gewinne vor Ort bleiben, sondern die Landwirt:innen würden auch ihr Produktportfolio breiter aufstellen.
Fallbeispiel: Hafermilch direkt vom Landwirt
Der britische Hersteller Glebe Farms produziert nicht nur den Hafer, sondern auch eine eigene glutenfreie Hafermilch. Das Ergebnis: Mehr Wertschöpfung beim Landwirt und ein gutes Image bei der Kundschaft (auf Englisch).
Investitionskosten, Wissenslücken und Langzeitverträge
In den Interviews wurde immer wieder deutlich, dass Landwirt:innen das finanzielle Risiko einer Umstrukturierung nicht alleine tragen können. Langzeitverträge mit Abnehmern und andere Formen von Partnerschaften können helfen, das Risiko für die Umstellung auf alternative Eiweißpflanzen auf mehrere Schultern zu verteilen.
Hinzu kommt eine Lücke zwischen der Innovation an Universitäten und deren Umsetzung im täglichen landwirtschaftlichen Betrieb. Die interviewten Agrar-Organisationen betonen, dass Landwirtschaft ein sehr persönliches Thema sei, oft über viele Generationen einer Familie gewachsen. Neue Methoden etablieren sich am ehesten, wenn sie horizontal, also von Landwirt:in zu Landwirt:in, weitergegeben werden.
„Gute Lösungen in der Landwirtschaft kommen nie von oben. Sie kommen von den Landwirt:innen selbst.“
Vanessa García Polanco
Federal Policy Director, National Young Farmers Coalition (USA)
Transformation der Landwirtschaft funktioniert nur gemeinsam
Der „Amplifying Farmers’ Voices“-Report von ProVeg zeigt, dass viele Landwirt:innen mit Sorge auf die Klimakrise blicken und einer Umstellung ihrer Produktion aufgeschlossen gegenüberstehen. Der Anbau alternativer Eiweißpflanzen bietet ihnen die Möglichkeit, sich breiter aufzustellen, die sich verändernde Nachfrage zu bedienen, ihren ökologischen Fußabdruck zu verbessern und die Biodiversität auf ihren Flächen wiederherzustellen.
Was im Zuge der Interviews auch klar wurde: Die mit der Transformation einhergehenden Risiken dürfen nicht allein bei den landwirtschaftlichen Betrieben liegen. Deshalb arbeitet ProVeg mit Unternehmen entlang der gesamten Lebensmittel-Wertschöpfungskette – darunter Ingredients-Hersteller, Produzenten und Einzelhandel – um politische Rahmenbedingungen, flexible Langzeitverträge und ein offenes Teilen von Wissen und Erfahrungswerten zu fördern.
Zum kostenlosen vollständigen Report auf Englisch geht es hier: Amplifying Farmers’ Voices
Quellen[+]
↑1 | IPCC (2019): Climate Change and Land: an IPCC special report on climate change, desertification, land degradation, sustainable land management, food security, and greenhouse gas fluxes in terrestrial ecosystems. Online unter: https://www.ipcc.ch/srccl/download/ [16.05.2022] |
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↑2 | Crippa, M., E. Solazzo, D. Guizzardi, et al. (2021): Food systems are responsible for a third of global anthropogenic GHG emissions. Nature Food. Doi:10.1038/s43016-021-00225-9 doi:10.1038/s43016-021-00225-9 |
↑3 | Xu, X., P. Sharma, S. Shu, et al. (2021): Global greenhouse gas emissions from animal-based foods are twice those of plant-based foods. Nature Food 2(9), 724–732. Doi:10.1038/s43016-021-00358-x |
↑4 | Europäische Umweltagentur (EEA, 2020): Total greenhouse gas emission trends and projections in Europe. Online unter: https://www.eea.europa.eu/ims/total-greenhouse-gas-emission-trends [13.08.2022] |
↑5 | IPCC (2014): Climate Change 2014: Synthesis Report. Contribution of Working Groups I, II and III to the Fifth Assessment Report of the Intergovernmental Panel on Climate Change [Core Writing Team, R. K. Pachauri and L. A. Meyer (eds.)]. IPCC, Geneva, Switzerland, 151 pp. Online unter: https://www.ipcc.ch/report/ar5/syr/ [10.08.2022] |
Über die Autorin
Kathleen Gerstenberg
Content-Managerin
Unsere Autorin interessiert sich für gesunde Ernährung. Seit 2018 ist sie bei ProVeg, liebt Wortneuschöpfungen und jongliert als Content-Managerin mit Sprache, um noch mehr Menschen für eine pflanzliche Lebensweise zu begeistern.