Politik
Antibiotikaresistenz durch Tierhaltung: politische Maßnahmen greifen zu kurz
Natalie Koppenhöfer 10. November 2022
Der hohe Einsatz von Antibiotika in der Tierhaltung fördert die Entstehung von Resistenzen und stellt damit eine unmittelbare Bedrohung für die globale Gesundheit dar. Die EU ist im Kampf gegen Antibiotikaresistenzen zu zögerlich.
Resistente Keime sind eine akute Bedrohung für die globale Gesundheit
Antibiotika gehören zu den wichtigsten Medikamenten für die Behandlung infektiöser Krankheiten. Sie funktionieren aber nicht uneingeschränkt: Bakterien können sich durch natürliche Mutationen im Erbgut gegen Antibiotika schützen. Es ergibt sich ein Selektionsdruck: Die Bakterien ohne die nötige Mutation werden von den Antibiotika getötet, die resistenten Bakterien können sich weiter vermehren.1Robert-Koch-Institut (RKI) (2019): Antworten auf häufig gestellte Fragen zu Krankenhausinfektionen und Antibiotikaresistenz. Online unter: https://www.rki.de/SharedDocs/FAQ/Krankenhausinfektionen-und-Antibiotikaresistenz/FAQ_Liste.html [27.09.2022] Es entstehen antibiotikaresistente Erreger.
Infektionen mit resistenten Erregern lassen sich meist schwieriger behandeln und können einen komplizierten Verlauf nehmen.2 Robert-Koch-Institut (RKI) (2019): Grundwissen Antibiotikaresistenz. RKI. Online unter: https://www.rki.de/DE/Content/Infekt/Antibiotikaresistenz/Grundwissen/Grundwissen_inhalt.html [27.09.2022] Schon heute sterben in der EU 33.000 Menschen pro Jahr an antibiotikaresistenten Keimen.3Cassini, A., L. D. Högberg, D. Plachouras, et al. (2019): Attributable deaths and disability-adjusted life-years caused by infections with antibiotic-resistant bacteria in the EU and the European Economic Area in 2015: a population-level modelling analysis. The Lancet Infectious Diseases 19(1), 56–66. Wird nicht dagegen vorgegangen, könnte diese Zahl bis 2050 global auf bis zu 10 Millionen Todesfälle pro Jahr ansteigen.4IACG (2019): No time to wait: Securing the future from Drug-Resistant Infections. Report to the Secretary-General of the United Nations. Interagency Coordination Group on Antimicrobial Resistance. Online unter: https://www.who.int/publications/i/item/no-time-to-wait-securing-the-future-from-drug-resistant-infections [27.09.2022] Besonders gefährdet sind Menschen mit einem schwachen oder geschwächten Immunsystem.
Über 70 % der Antibiotika werden in der Tierhaltung eingesetzt
Antibiotikaresistenzen entstehen vor allem dort, wo Antibiotika in großen Mengen verabreicht werden. Besonders problematisch: Die meisten Antibiotika werden nicht für die Behandlung kranker Menschen eingesetzt, sondern in der Tierhaltung – mehr als 70 % der Antibiotika weltweit.5Ritchie, H. (2017): How do we reduce antibiotic resistance from livestock? Our World in Data. Online unter: https://ourworldindata.org/antibiotic-resistance-from-livestock [16.09.2022] 2020 wurden in Deutschland etwa 700 Tonnen Antibiotika in der Tiermast eingesetzt. Während die Abgabemengen an Antibiotika über die letzten 10 Jahre in Deutschland deutlich abgenommen hat, nahm sie insbesondere in der Hühnerhaltung wieder merklich zu.6BVL & BfR (2022): Lagebild zur Antibiotikaresistenz im Bereich Tierhaltung und Lebensmittelkette. Online unter: https://www.bmel.de/SharedDocs/Downloads/DE/_Tiere/Tiergesundheit/Tierarzneimittel/lagebild-antibiotikaeinsatz-bei-tieren-2021.pdf?__blob=publicationFile&v=3 [16.09.2022]
Die Tierhaltung treibt den Verbrauch von Antibiotika in die Höhe
Die Tierhaltung wurde im Sinne der Wirtschaftlichkeit immer stärker auf „Effizienz“ optimiert. Die Besatzdichte wird dafür bis zum Maximum ausgereizt, wodurch zu viele Tiere auf engstem Raum leben. Hinzu kommen enormer Stress und mangelnde Beschäftigungsmöglichkeiten, wodurch die Tiere sich selbst und ihre Artgenossen verletzen. Das begünstigt das Ausbrechen von Krankheiten.
Report: Nahrungsmittel und Pandemien
Etwa 75 % aller neu auftretenden Infektionskrankheiten sind Zoonosen – Krankheiten tierischen Ursprungs, die auf den Menschen übergesprungen sind. Unser wachsender Appetit auf tierische Lebensmittel und die damit verbundene Tierhaltung beschleunigt die Entstehung weiterer Zoonosen und ist einer der größten Risikofaktoren für das Auftreten neuer Pandemien.
Antibiotikaresistente Keime landen auf unseren Tellern
Durch den hohen Einsatz von Antibiotika in der sogenannten Nutztierhaltung können die resistenten Erreger insbesondere durch den Konsum von tierischen Produkten wie Fleisch an uns Menschen weitergegeben werden. Auch wer keine tierischen Produkte konsumiert, ist dieser Gefahr ausgesetzt: Häufig werden die Ausscheidungen der Tiere als Dünger verwendet, sodass die resistenten Bakterien auch über pflanzliche Lebensmittel auf unseren Tellern landen können. Zusätzlich gelangen auch Rückstände der Antibiotika über die Fäkalien der Tiere in die Umwelt.7 BVL : Antibiotikaresistenzen in der Umwelt. Online unter: https://www.bvl.bund.de/DE/Arbeitsbereiche/05_Tierarzneimittel/03_Tieraerzte/05_Antibiotikaresistenzen/04_Umwelt/Umwelt_node.html [10.10.2022]
Reserveantibiotika verlieren ihre Wirkung
Besonders kritisch ist die Verwendung von sogenannten Reserveantibiotika in der Tierhaltung. Die Gabe dieser Medikamente ist für Notfälle vorgesehen, in denen keine anderen Antibiotika mehr wirken. Dennoch steigt ihr Einsatz in einigen EU-Ländern weiter an.8Benning, R. & A. Striezel (2021): Recherche zu Reserveantibiotika bei Tieren, die der Lebensmittelgewinnung dienen – Reserveantibiotika als Metaphylaxe und Gruppenbehandlung verzichtbar. Die Grünen/EFA im Europäischen Parlament. Online unter: https://www.martin-haeusling.eu/images/STUDIE_Reserveantibiotika_bei_Tieren_die_der_Lebensmittelgewinnung_dienen_BENNING_STRIEZEL_sep2021.pdf [26.09.2022] Damit können auch immer mehr Antibiotikaresistenzen entstehen, was die Medikamente letztlich wirkungslos macht. Dadurch ist unser Gesundheitssystem akut gefährdet.
Zivilisationskrankheiten und vegane Ernährung
Osteoporose, Bluthochdruck, Übergewicht: eine vollwertige vegane oder vegetarische Ernährung hat das Potenzial, die häufigsten Zivilisationskrankheiten vorzubeugen.
Neuer EU-Entwurf: keine Einschränkung von Antibiotika in der Tierhaltung
Die EU möchte gegen Antibiotikaresistenzen vorgehen. Die Kommission hat im Frühjahr 2022 einen Rechtsakt-Entwurf veröffentlicht, durch den einige Antibiotika für die Humanmedizin reserviert werden sollen.9Europäische Kommission (2022): Arzneimittelresistenz – Verzeichnis der für die Behandlung von Menschen bestimmten antimikrobiellen Arzneimittel (Antibiotika). Online unter: https://ec.europa.eu/info/law/better-regulation/have-your-say/initiatives/11653-Arzneimittelresistenz-Verzeichnis-der-fur-die-Behandlung-von-Menschen-bestimmten-antimikrobiellen-Arzneimittel-Antibiotika-_de [15.09.2022] Das Problem: Keines der aktuell in der Tierhaltung genutzten Antibiotika fällt darunter – also jene, die massenweise zum Einsatz kommen und von denen die größten Risiken für neue Resistenzen ausgehen.
ProVeg appelliert an die EU-Kommission
ProVeg fordert gemeinsam mit 18 weiteren Organisationen, die Liste der EU zu erweitern, da nur so der Antibiotikaverbrauch wirksam reduziert werden kann. Dazu reichte ProVeg ein Feedback* zum Rechtsakt-Entwurf bei der EU-Kommission ein. Um auf die Dringlichkeit des Problems hinzuweisen, hat ProVeg außerdem gemeinsam mit „Health Care Without Harm“ ein Statement* herausgegeben.
Appell an die Europäische Kommission*
„Trotz der Sorge von Gesundheitsexpert:innen hat die Europäische Kommission am 19. April eine Liste von Antibiotika zum Reservieren vorgeschlagen, die weder der Gesundheit von Menschen noch dem Tierschutz dient.“ Lesen Sie das vollständige Statement von ProVeg und weiteren Partnerorganisationen (auf Englisch).
Verringerung der Tierdichte ist essenziell, um Antibiotikaresistenzen zu reduzieren
Die Nutzung von Antibiotika in der Tierhaltung zu reduzieren, soll nicht dazu führen, dass kranke und verletzte Tiere nicht entsprechend behandelt werden. Es geht vielmehr darum, die Haltungsbedingungen so zu verändern, dass der Bedarf an Antibiotika sinkt – sowohl für die Behandlung als auch für die Prävention von Krankheiten. Das kann nur durch einen generellen Systemwandel und eine Abkehr von der massenhaften Tierhaltung geschehen.
Bürger:innen fordern mehr Tierschutz
73 % der Bundesbürger:innen fordern strengere Vorschriften für die Tierhaltung.10Forsa (2017): Meinungen zum Thema Nutztierhaltung. Online unter: https://www.bund.net/fileadmin/user_upload_bund/publikationen/massentierhaltung/Massentierhaltung_Umfrage_Haltungsvorgaben_Kennzeichnungspflicht_Antibiotika.pdf [15.09.2022] Das geht einher mit einem Wandel hin zu einer stärker pflanzenbasierten Ernährung. Eine Reduktion des Fleischkonsums würde nicht nur den Antibiotikaeinsatz reduzieren: Auch die Tiergesundheit, die Gesundheit von uns Menschen und das Klima würden davon profitieren.
70 % der Deutschen wollen Verbot der Massentierhaltung
Eine Meinungsumfrage von Civey im Auftrag von ProVeg zeigt: Die große Mehrheit der Bevölkerung will, dass Intensivtierhaltung verboten wird.
* Beim Klicken des Links verlassen Sie die Seite von ProVeg.
Quellen[+]
↑1 | Robert-Koch-Institut (RKI) (2019): Antworten auf häufig gestellte Fragen zu Krankenhausinfektionen und Antibiotikaresistenz. Online unter: https://www.rki.de/SharedDocs/FAQ/Krankenhausinfektionen-und-Antibiotikaresistenz/FAQ_Liste.html [27.09.2022] |
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↑2 | Robert-Koch-Institut (RKI) (2019): Grundwissen Antibiotikaresistenz. RKI. Online unter: https://www.rki.de/DE/Content/Infekt/Antibiotikaresistenz/Grundwissen/Grundwissen_inhalt.html [27.09.2022] |
↑3 | Cassini, A., L. D. Högberg, D. Plachouras, et al. (2019): Attributable deaths and disability-adjusted life-years caused by infections with antibiotic-resistant bacteria in the EU and the European Economic Area in 2015: a population-level modelling analysis. The Lancet Infectious Diseases 19(1), 56–66. |
↑4 | IACG (2019): No time to wait: Securing the future from Drug-Resistant Infections. Report to the Secretary-General of the United Nations. Interagency Coordination Group on Antimicrobial Resistance. Online unter: https://www.who.int/publications/i/item/no-time-to-wait-securing-the-future-from-drug-resistant-infections [27.09.2022] |
↑5 | Ritchie, H. (2017): How do we reduce antibiotic resistance from livestock? Our World in Data. Online unter: https://ourworldindata.org/antibiotic-resistance-from-livestock [16.09.2022] |
↑6 | BVL & BfR (2022): Lagebild zur Antibiotikaresistenz im Bereich Tierhaltung und Lebensmittelkette. Online unter: https://www.bmel.de/SharedDocs/Downloads/DE/_Tiere/Tiergesundheit/Tierarzneimittel/lagebild-antibiotikaeinsatz-bei-tieren-2021.pdf?__blob=publicationFile&v=3 [16.09.2022] |
↑7 | BVL : Antibiotikaresistenzen in der Umwelt. Online unter: https://www.bvl.bund.de/DE/Arbeitsbereiche/05_Tierarzneimittel/03_Tieraerzte/05_Antibiotikaresistenzen/04_Umwelt/Umwelt_node.html [10.10.2022] |
↑8 | Benning, R. & A. Striezel (2021): Recherche zu Reserveantibiotika bei Tieren, die der Lebensmittelgewinnung dienen – Reserveantibiotika als Metaphylaxe und Gruppenbehandlung verzichtbar. Die Grünen/EFA im Europäischen Parlament. Online unter: https://www.martin-haeusling.eu/images/STUDIE_Reserveantibiotika_bei_Tieren_die_der_Lebensmittelgewinnung_dienen_BENNING_STRIEZEL_sep2021.pdf [26.09.2022] |
↑9 | Europäische Kommission (2022): Arzneimittelresistenz – Verzeichnis der für die Behandlung von Menschen bestimmten antimikrobiellen Arzneimittel (Antibiotika). Online unter: https://ec.europa.eu/info/law/better-regulation/have-your-say/initiatives/11653-Arzneimittelresistenz-Verzeichnis-der-fur-die-Behandlung-von-Menschen-bestimmten-antimikrobiellen-Arzneimittel-Antibiotika-_de [15.09.2022] |
↑10 | Forsa (2017): Meinungen zum Thema Nutztierhaltung. Online unter: https://www.bund.net/fileadmin/user_upload_bund/publikationen/massentierhaltung/Massentierhaltung_Umfrage_Haltungsvorgaben_Kennzeichnungspflicht_Antibiotika.pdf [15.09.2022] |
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