Politik
Lebensmittel statt Futtermittel: offener Brief an die Bundesregierung
Kathleen Gerstenberg 3. Mai 2022
Der Ukraine-Krieg hat eine Debatte zur Ernährungssicherheit ausgelöst. EU-weit werden Stimmen laut, Maßnahmen zum Klimaschutz in der Landwirtschaft zurückzustellen – auch in Deutschland. ProVeg fordert die Bundesregierung in einem offenen Brief auf, den dringend benötigten Ernährungswandel im Blick zu behalten.
Krieg in der Ukraine macht Farm to Fork notwendiger denn je
Infolge des Kriegs in der Ukraine droht Getreideknappheit. Darauf wurden Stimmen laut, die eine Abkehr von der Farm-to-Fork-Strategie fordern, dem EU-Programm für mehr Nachhaltigkeit in der Landwirtschaft. Unter dem Deckmantel einer potenziell bedrohten Ernährungssicherheit forderte beispielsweise der Deutsche Bauernverband, die in der Farm-to-Fork-Strategie vereinbarte Stilllegung von Flächen zur Entlastung der Ökosysteme und die Einschränkung des Einsatzes von Pestiziden zu überdenken.1Presseportal (26.02.2022): Bauernverband: EU muss Agrarpolitik angesichts des Ukraine-Krieges hinterfragen. Online unter: https://www.presseportal.de/pm/58964/5157042 [26.04.2022]
Das wäre ein fataler Fehler, befinden das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, die Berliner Charité, die Universität Oxford und weitere renommierte Institute.2Pörtner et al. (2022): We need a food system transformation – in the face of the Ukraine war, now more than ever, Open Aire, DOI 10.5281/zenodo.6366132. Online unter: https://zenodo.org/record/6366132#.YmaoHtpByUl [26.04.2022] Die Farm-to-Fork-Strategie trägt durch den Schutz der Umwelt zur langfristigen Ernährungssicherheit bei, die durch die Tierhaltung akut gefährdet ist. Denn: Aktuell verwenden wir rund 60 % unseres Getreides als Tierfutter statt für die Ernährung.3Bundesinformationszentrum Landwirtschaft (2021): Was wächst auf Deutschlands Feldern? Online unter: https://www.landwirtschaft.de/landwirtschaft-verstehen/wie-arbeiten-foerster-und-pflanzenbauer/was-waechst-auf-deutschlands-feldern [26.04.2022]
„Getreide gehört zuallererst auf den Tisch – und zwar ohne den Umweg über den Futtertrog.“ 4RedaktionsNetzwerk Deutschland (2022): Schulze zum knappen Weizen: „Mir ist der Teller wichtiger als der Tank“. Online unter: https://www.rnd.de/politik/svenja-schulze-weizen-und-mais-gehoeren-auf-den-tisch-rnd-interview-mit-entwicklungsministerin-BY74KBLZIVG3FLWOH4DXGK62OY.html `{`26.04.2022`}`
Svenja Schulze
Entwicklungsministerin (SPD)
Offener Brief
Klimaschutz gehört ganz vorn auf die Agenda: ProVeg erinnert die Bundesregierung daran, dass wir es uns nicht leisten können, dringend benötigte Nachhaltigkeitsmaßnahmen in der Landwirtschaft auszusetzen.
Özdemir, Lauterbach und Schulze fordern mehr pflanzliche Ernährung
ProVeg ist hoffnungsvoll, bei der Bundesregierung auf offene Ohren zu stoßen. Denn es bewegt sich etwas: In den letzten Wochen mehren sich parteiübergreifend dringende Appelle aus den Ministerien, den pflanzlichen Anteil an der Ernährung deutlich zu steigern.
Nach Landwirtschaftsminister Cem Özdemir (Bündnis 90/Die Grünen) und Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) trat jüngst Entwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD) für einen Ernährungswandel ein. Sie begründen den Ruf nach mehr pflanzlicher Ernährung mit der klimapolitischen Dringlichkeit, führen aber auch den Ukraine-Krieg, die Gesundheitssorge, den Tierschutz und soziale Gerechtigkeit als Hintergründe an.
„Weniger Fleisch brächte weniger Tierquälerei, weniger CO₂, weniger Methan, weniger Hunger und bessere Gesundheit. Es spricht alles dafür.“ 5Lauterbach (10.03.2022): „Weniger Fleisch brächte weniger Tierquälerei, weniger CO₂, ...“ `{`Tweet`}`, Twitter. Online unter: `{`https://twitter.com/Karl_Lauterbach/status/1501708264593149954 `{`26.04.2022`}`
Prof. Dr. Karl Lauterbach
Gesundheitsminister (SPD)
Deutschland debattiert über die Wurst
Wie viel Fleisch ist ökologisch vertretbar? Diese Frage ist längst in der öffentlichen Debatte angekommen. War der übermäßige Fleischkonsum früher eher Nischenthema, ist er heute Gegenstand reichweitenstarker Fernsehformate. So wies das ZDF-Satire-Magazin heute-show im März auf die Flächenverschwendung für Tierfutter hin.6ZDF: heute-show vom 18. März 2022, Min. 18:30. Online unter: https://www.zdf.de/comedy/heute-show/heute-show-vom-18-maerz-2022-100.html [26.04.2022] Das ZDF Magazin Royale widmete pünktlich zum Start der Grillsaison eine ganze Sendung Europas größtem Fleischproduzenten Tönnies und dessen fragwürdigen Praktiken.7ZDF: ZDF Magazin Royale vom 22. April 2022. Online unter: https://www.zdf.de/comedy/zdf-magazin-royale/zdf-magazin-royale-vom-22-april-2022-100.html [26.04.2022]
70 % der Menschen in Deutschland wollen Verbot der Massentierhaltung
In einer von ProVeg in Auftrag gegebenen Umfrage sprechen sich zudem rund 80 % der Befragten dafür aus, dass der Staat die finanzielle Förderung der Massentierhaltung stoppt.
Fleischkonsum in Deutschland auf Rekordtief
Dass nicht nur diskutiert, sondern auch gehandelt wird, zeigen aktuelle Erhebungen zum Fleischkonsum: 2021 haben die Menschen hierzulande so wenig Fleisch gegessen wie seit über 30 Jahren nicht mehr.8Bundesanstalt für Ernährung und Landwirtschaft (2022): Versorgungsbilanz Fleisch 2021: Pro-Kopf-Verzehr sinkt auf 55 Kilogramm. Online unter: https://www.ble.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2022/220330_Versorgungsbilanz-Fleisch.html [26.04.2022] Im Durchschnitt aß die Bevölkerung 2,1 Kilogramm weniger Fleisch als noch 2020, so die aktuelle Versorgungsbilanz Fleisch.
Als mögliche Erklärung führt die Bundesanstalt für Ernährung und Landwirtschaft den anhaltenden Trend zur pflanzenbasierten Ernährung an.9Bundesanstalt für Ernährung und Landwirtschaft (2022): Versorgungsbilanz Fleisch 2021: Pro-Kopf-Verzehr sinkt auf 55 Kilogramm. Online unter: https://www.ble.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2022/220330_Versorgungsbilanz-Fleisch.html [26.04.2022] Um diese Entwicklung weiter zu fördern, setzt sich ProVeg für konkrete politische Maßnahmen ein, die den Umbau der Landwirtschaft weiter voranbringen.
Die politische Arbeit von ProVeg
Klimaschutz, Umdenken in der Landwirtschaft, Kennzeichnung von Lebensmitteln: Welche Rahmenbedingung ProVeg von der Politik fordert, um ein nachhaltiges Ernährungssystem zu schaffen und die Ernährungssicherheit zu gewährleisten.
Quellen[+]
↑1 | Presseportal (26.02.2022): Bauernverband: EU muss Agrarpolitik angesichts des Ukraine-Krieges hinterfragen. Online unter: https://www.presseportal.de/pm/58964/5157042 [26.04.2022] |
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↑2 | Pörtner et al. (2022): We need a food system transformation – in the face of the Ukraine war, now more than ever, Open Aire, DOI 10.5281/zenodo.6366132. Online unter: https://zenodo.org/record/6366132#.YmaoHtpByUl [26.04.2022] |
↑3 | Bundesinformationszentrum Landwirtschaft (2021): Was wächst auf Deutschlands Feldern? Online unter: https://www.landwirtschaft.de/landwirtschaft-verstehen/wie-arbeiten-foerster-und-pflanzenbauer/was-waechst-auf-deutschlands-feldern [26.04.2022] |
↑4 | RedaktionsNetzwerk Deutschland (2022): Schulze zum knappen Weizen: „Mir ist der Teller wichtiger als der Tank“. Online unter: https://www.rnd.de/politik/svenja-schulze-weizen-und-mais-gehoeren-auf-den-tisch-rnd-interview-mit-entwicklungsministerin-BY74KBLZIVG3FLWOH4DXGK62OY.html `{`26.04.2022`}` |
↑5 | Lauterbach (10.03.2022): „Weniger Fleisch brächte weniger Tierquälerei, weniger CO₂, ...“ `{`Tweet`}`, Twitter. Online unter: `{`https://twitter.com/Karl_Lauterbach/status/1501708264593149954 `{`26.04.2022`}` |
↑6 | ZDF: heute-show vom 18. März 2022, Min. 18:30. Online unter: https://www.zdf.de/comedy/heute-show/heute-show-vom-18-maerz-2022-100.html [26.04.2022] |
↑7 | ZDF: ZDF Magazin Royale vom 22. April 2022. Online unter: https://www.zdf.de/comedy/zdf-magazin-royale/zdf-magazin-royale-vom-22-april-2022-100.html [26.04.2022] |
↑8, ↑9 | Bundesanstalt für Ernährung und Landwirtschaft (2022): Versorgungsbilanz Fleisch 2021: Pro-Kopf-Verzehr sinkt auf 55 Kilogramm. Online unter: https://www.ble.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2022/220330_Versorgungsbilanz-Fleisch.html [26.04.2022] |
Über die Autorin
Kathleen Gerstenberg
Content-Managerin
Unsere Autorin interessiert sich für gesunde Ernährung. Seit 2018 ist sie bei ProVeg, liebt Wortneuschöpfungen und jongliert als Content-Managerin mit Sprache, um noch mehr Menschen für eine pflanzliche Lebensweise zu begeistern.