Politik
ProVeg-Politik zum staatlichen Tierwohlkennzeichen der Bundesregierung
13. Februar 2019
Das Konsumbewusstsein der Verbraucherinnen und Verbraucher wächst. Die Mehrzahl der Konsumierenden wünscht sich Informationen zu den Haltungsbedingungen der Tiere. Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) stellte Anfang Februar 2019 die Kriterien des freiwilligen staatlichen Tierwohlkennzeichens vor. ProVeg-Politik kommentiert das Vorhaben.
Das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) plant ein freiwilliges dreistufiges Tierwohllabel. Dieses soll bis zur zweiten Jahreshälfte 2019 gesetzlich beschlossen sein und ab 2020 die ersten Lebensmittel kennzeichnen. Die staatliche Tierwohl-Kennzeichnung soll zunächst Schweinefleisch auszeichnen, das unter höheren Standards erzeugt wurde als gesetzlich vorgeschrieben. Für die Tiere bedeutet das zum Beispiel ein höheres Platzangebot oder mehr Beschäftigungsmaterialien. Die amtierende Landwirtschaftsministerin Klöckner möchte mit dem geplanten Label ein „Mehr an Tierwohl sichtbarer machen und den Verbrauchern eine verlässliche Orientierung geben, wieviel Tierwohl in den Produkten steckt“.1Statement von Julia Klöckner aus der Pressemitteilung Nr. 37 vom 05.05.2018 des BMELs. Online unter: https://www.bmel.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/2018/037-Tierwohl-Kennzeichnung.html [13.09.2018] Die Kennzeichnung soll zu einem späteren Zeitpunkt auf Geflügel ausgeweitet werden. Das freiwillige Label ist das zentrale Element der „Nutztierstrategie“ des BMEL.
Handel schneller als Politik
Der Lebensmitteleinzelhandel kam der Bundesregierung zuvor. Die Mehrheit der Discounter und Supermärkte hat in der Vergangenheit bereits eigene Kennzeichnungssysteme entworfen. Da sich diese jedoch sowohl in der optischen Gestaltung als auch in Detailfragen voneinander unterscheiden, fällt es Konsumierenden bislang schwer, sich über die Haltungsbedingungen der Tiere zu informieren. Um mehr Klarheit für Verbraucherinnen und Verbraucher zu schaffen, arbeiten aktuell mehrere Handelsunternehmen an einem einheitlichen 4-Stufen-System. Dieses soll im April 2019 an den Start gehen.2https://www.haltungsform.de/ Parallel dazu laufen die Vorarbeiten zum Siegel der Bundesregierung.
Die geplante Kennzeichnung steht stark in der Kritik
Eine Vielzahl von Stakeholdern sieht Klöckners Entwurf äußerst kritisch und favorisiert andere Optionen. Insbesondere die verpflichtende Haltungskennzeichnung erhält breite Unterstützung vieler Interessengruppen. Diese bürge gegenüber einem freiwilligen Label nicht die Gefahr, lediglich einen Bruchteil aller Produkte auszuzeichnen, sondern würde durch eine standardisierte und flächendeckende Haltungskennzeichnung aller Produkte Transparenz für Verbraucherinnen und Verbraucher schaffen. Da ein obligatorisches Label von Tier- und Umweltschutzorganisationen, dem Lebensmitteleinzelhandel, der Systemgastronomie sowie Landwirtschaftsverbänden wie dem Deutschen Bauernverband (DBV) und der Interessengemeinschaft der Schweinemäster (ISN) befürwortet wird, erscheint es zunehmend unverständlich, weshalb sich das BMEL gegen die Etablierung einer verpflichtenden Kennzeichnung sträubt.3vgl. https://www.greenpeace.de/sites/www.greenpeace.de/files/publications/20180328-greenpeace-landwirtschaft-umfrage-haltungskennzeichnung.pdf [13.02.2019], https://www.topagrar.com/news/Schwein-News-Schwein-VEZG-unterstuetzt-Haltungskennzeichnung-9133121.html [13.02.2019]
Eine Reihe von Tier- und Umweltschutzorganisationen fordert darüber hinaus eine ambitioniertere Ausgestaltung der Labelstufen in Sachen Tierwohl.4vgl. BUND Pressemitteilung: https://www.bund.net/service/presse/pressemitteilungen/detail/news/bund-fordert-eine-verbindliche-staatliche-haltungskennzeichnung-mit-echtem-tierwohl/ [07.02.2019] PROVIEH Pressemitteilung: https://provieh.de/pressemitteilung/kloeckner-mogelpackung/tierwohl [07.02.2019] Einem Mastschwein, das bis zu 110 Kilogramm wiegt, stehen in der Einstiegsstufe des Labels 0,9 Quadratmeter zur Verfügung. Gesetzlicher Mindeststandard sind 0,75 Quadratmeter. Das Kupieren der Ringelschwänze ist in der Einstiegsstufe weiterhin zulässig.5BMEL (2019): Das staatliche Tierwohlkennzeichen für Schweine. Alle Kriterien im Überblick. Online unter: https://www.bmel.de/SharedDocs/Downloads/Tier/Tierwohl/Tierwohlkennzeichen_Schwein_Kriterien.pdf?__blob=publicationFile [07.02.2019] Thomas Schröder, Präsident des Deutschen Tierschutzbundes, sieht in der Einstiegsstufe des Labels „Verbrauchertäuschung; den Beinamen ,Tierwohl‘ hat sie nicht verdient”. Außerdem bemängelt Schröder, „dass die Ministerin weiter auf Freiwilligkeit setzt, die große Mehrheit der Schweine bleibt damit auf der Strecke”. 6Thomas Schröder, Präsident des Deutschen Tierschutzbundes. Pressemitteilung 06.02.2019. Online unter: https://www.tierschutzbund.de/news-storage/landwirtschaft/060219-staatliches-tierwohlkennzeichen/ [07.02.2019]
Reduktion der Tierbestände
Der Wissenschaftliche Beirat für Agrarpolitik, Ernährung und gesundheitlichen Verbraucherschutz (WBAE), ein Beratungsgremium des BMEL, erarbeitete in der Vergangenheit bereits Leitlinien für zukunftsfähige Haltungsstandards aus Sicht des Tierschutzes. Diese spiegeln in großen Teilen die gesellschaftlichen Erwartungen an die Tierhaltung wider.7Wissenschaftlicher Beirat für Agrarpolitik beim Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (2015): Wege zu einer gesellschaftlich akzeptierten Nutztierhaltung. Gutachten, S.281ff. Online unter: https://www.bmel.de/SharedDocs/Downloads/Ministerium/Beiraete/Agrarpolitik/GutachtenNutztierhaltung.pdf?__blob=publicationFile [13.09.2018]
Um dem Wohl der sogenannten Nutztiere Rechnung zu tragen, stellt die Förderung pflanzenbasierter Ernährungsweisen aus der Sicht von ProVeg-Politik eine weitaus effektivere Möglichkeit dar als die Etablierung des staatlichen Tierwohllabels. Der gleichzeitig notwendige Abbau der Tierbestände bietet das größte Potenzial für bessere Haltungsstandards, die dann anhand aussagekräftiger und verpflichtender Produktkennzeichnungen für Konsumierende ersichtlich sein sollten. ProVeg-Politik fordert: Klöckner sollte das Potenzial kleinerer Tierbestände sowie die Ratschläge ihres Beratungsgremiums bei der Ausgestaltung tierschutzpolitischer Maßnahmen dringend berücksichtigen und einen Umbau der Nutztierhaltung einleiten.
Pflanzliche Ernährung als Multiproblemlöser
ProVeg-Politik machte die Ministerin bereits auf die Potenziale pflanzlicher Produkte aufmerksam. Klöckner ließ diese bislang unbeachtet. Für die Politik ist es nun an der Zeit, diesen Forderungen Gehör zu schenken und die Landwirtschaft und Ernährung in Deutschland aktiv zu gestalten. Initiativen wie das staatliche Tierwohllabel werden langfristig nicht genügen, um den dringlichen Anforderungen im Bereich Tierwohl, Klimaschutz oder Ressourcenschonung gerecht zu werden. Aus diesem Grund wird ProVeg-Politik weiterhin Druck auf Gesetzgebende ausüben, um einen geringeren Konsum tierischer Produkte fest auf der politischen Agenda zu verankern.
Quellen[+]
↑1 | Statement von Julia Klöckner aus der Pressemitteilung Nr. 37 vom 05.05.2018 des BMELs. Online unter: https://www.bmel.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/2018/037-Tierwohl-Kennzeichnung.html [13.09.2018] |
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↑2 | https://www.haltungsform.de/ |
↑3 | vgl. https://www.greenpeace.de/sites/www.greenpeace.de/files/publications/20180328-greenpeace-landwirtschaft-umfrage-haltungskennzeichnung.pdf [13.02.2019], https://www.topagrar.com/news/Schwein-News-Schwein-VEZG-unterstuetzt-Haltungskennzeichnung-9133121.html [13.02.2019] |
↑4 | vgl. BUND Pressemitteilung: https://www.bund.net/service/presse/pressemitteilungen/detail/news/bund-fordert-eine-verbindliche-staatliche-haltungskennzeichnung-mit-echtem-tierwohl/ [07.02.2019] PROVIEH Pressemitteilung: https://provieh.de/pressemitteilung/kloeckner-mogelpackung/tierwohl [07.02.2019] |
↑5 | BMEL (2019): Das staatliche Tierwohlkennzeichen für Schweine. Alle Kriterien im Überblick. Online unter: https://www.bmel.de/SharedDocs/Downloads/Tier/Tierwohl/Tierwohlkennzeichen_Schwein_Kriterien.pdf?__blob=publicationFile [07.02.2019] |
↑6 | Thomas Schröder, Präsident des Deutschen Tierschutzbundes. Pressemitteilung 06.02.2019. Online unter: https://www.tierschutzbund.de/news-storage/landwirtschaft/060219-staatliches-tierwohlkennzeichen/ [07.02.2019] |
↑7 | Wissenschaftlicher Beirat für Agrarpolitik beim Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (2015): Wege zu einer gesellschaftlich akzeptierten Nutztierhaltung. Gutachten, S.281ff. Online unter: https://www.bmel.de/SharedDocs/Downloads/Ministerium/Beiraete/Agrarpolitik/GutachtenNutztierhaltung.pdf?__blob=publicationFile [13.09.2018] |