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„Die Gastronomie muss aufwachen“ – Interview mit Jerome Pagnier von WiseFins

Jerome Pagnier, ehemaliger Abteilungsleiter „Food & Beverage“ im Grand Hyatt Singapur und Mitbegründer von WiseFins (Bildquelle: zur Verfügung gestellt von Jerome Pagnier)

Jerome Pagnier fand bereits mit 16 seinen Weg in die Gastronomie. Warum die pflanzliche Ernährung für den Bereich attraktiv ist und wie sich vegane Gourmet-Erlebnisse kreieren lassen, verrät er im Interview. Auf der New Food Conference im August 2020 gibt er weitere Einblicke, wie sich die pflanzliche Küche erfolgreich im Außer-Haus-Markt etablieren lässt.

Jerome, warum ist es für den Außer-Haus-Markt attraktiv, verstärkt pflanzliche Produkte einzusetzen?

Es gibt zahlreiche Gründe dafür. Ich denke, der wichtigste ist die Reduzierung des ökologischen Fußabdrucks, den die Branche hat. Wenn das als Anreiz nicht reicht, habe ich selbst die Marketing-Power erlebt, die die Einführung pflanzlicher Alternativen mit sich bringt. Damit wird ein Teil der Gäste erreicht, den große Marken und konventionelle Restaurants oftmals vergeblich zu begeistern versuchen.

Pflanzliche Menü-Optionen sind nicht nur ein wichtiges Marketing-Werkzeug, sondern auch ein unmittelbares Alleinstellungsmerkmal. Der Außer-Haus-Markt ist gezeichnet von Unternehmen, die im Prinzip alle dasselbe machen und dann versuchen, mittels Preiskriegen und Bonusprogrammen die Kundschaft für sich zu gewinnen. Das Ergebnis: eine erschreckend niedrige Servicequalität und Auswahl an Produkten sowie ein „Meer der Gleichförmigkeit“. Die Einführung von Food-Tech-Produkten, besonders von pflanzlichen Alternativen, holt Unternehmen aus diesem Meer heraus, macht sie automatisch zum Vorausdenkenden, zum Pionier, zum Visionär. Meiner Erfahrung nach sind pflanzliche Produkte extrem nützlich für Marketing, Alleinstellung und damit schlussendlich für Rentabilität.

Was müssen Restaurants und Hotels deiner Meinung nach ändern, um den Absatz pflanzlicher Menüs zu steigern?

Hier spielen viele Faktoren zusammen: Der wichtigste im Moment ist der Faktor Preis. Wir wissen alle, dass gerade pflanzliche Fleischalternativen oftmals teurer sind als tierische Produkte. Küchenchefinnen und -chefs müssen verstehen, dass pflanzliche Optionen keine Nachteile für den Gast bringen dürfen, um sich erfolgreich von der Masse abzuheben.

Im Prinzip müssen neue pflanzliche Produkte als eigene Einnahmequelle betrachtet und entsprechend anders behandelt werden als der Rest des Menüs. Als wir Fleischalternativen von Beyond Meat im Grand Hyatt Singapur eingeführt haben, haben wir bewusst darauf geachtet, den Gästen keinen Grund zu geben, sie NICHT zu probieren. Zum Beispiel indem wir die Produkte bewusst minimal günstiger verkauft haben als die tierischen Fleischprodukte. Das war das Zünglein an der Waage. Unsere Gewinnspanne war niedriger, aber unser Absatz ging durch die Decke – und hat uns in unserem Ansatz bestätigt.

„Neben den Finanz- und Marketing-Vorteilen war die Integration hochwertiger pflanzlicher Produkte die bei Weitem wirkungsvollste Produkteinführung seit Jahrzehnten im Grand Hyatt Singapur.“

Jerome Pagnier, ehemaliger Direktor Food & Beverage im Grand Hyatt Singapore

Mein Tipp: Weitblick ist gefragt! Restaurants müssen die Einführung pflanzlicher Produkte als entscheidenden Moment erkennen und sie so wirkungsvoll wie möglich gestalten. Nur so kann sich ein Betrieb nachhaltig von der Konkurrenz abheben und sich langfristig seinen Platz am Markt sichern.

Wie lässt sich die stereotypische Wahrnehmung von veganem Essen verbessern?

Ich glaube, dass es keine bessere Zeit gibt, um mit der Einführung neuer Menü-Optionen zu experimentieren. Wir sehen heutzutage den starken Wunsch von Gästen, sich gesund zu ernähren und dabei auf den eigenen ökologischen Fußabdruck zu achten – das spielt veganen Menüs direkt in die Hände. Da wir allerdings in den letzten Jahrzehnten viel falsch gemacht haben, vor allem mit Blick auf die Erfindung von Fast Food, betrachtet ein großer Teil der Menschen Essen heutzutage als Unterhaltung. Das führt dazu, dass wir die subtilen Geschmacksnuancen von Obst und Gemüse nicht mehr genießen können. So traurig das auch klingt, wir müssen Folgendes miteinbeziehen: Auch wenn Menschen sich gern gesund ernähren möchten, sie haben kein Interesse daran, Kompromisse beim Geschmack einzugehen.

Der Trick ist, dekadentes und gesundes pflanzliches Essen zu servieren. Wenn die Gäste noch tagelang nach Verlassen des Restaurants vom köstlichen veganen Essen schwärmen, hat man es geschafft. Dann ist es nebensächlich, dass das Gericht rein pflanzlich war.

Vegan-Kennzeichnung auf der Speisekarte

Vegan, pflanzlich, fleischfrei – für die Kennzeichnung von pflanzenbasierten Gerichten gibt es eine Vielzahl von Begriffen. Doch nicht jede Bezeichnung wird von den Gästen gleichermaßen verstanden.

Wo gibt es die größten Hürden für pflanzliche Produkte im Außer-Haus-Markt?

Ich sehe verschiedene Hindernisse für Food-Innovationen im Mainstream-Markt. Das Gastronomiegewerbe ist manchmal in Traditionen festgefahren und verschließt sich neuen Technologien und Kochkonzepten. Auch wenn sich hier die Denkweise verändert, meiner Meinung nach passiert das noch viel zu langsam. Außerdem sehe ich auch das Problem, dass viele Unternehmen im Außer-Haus-Markt – und teils im Einzelhandel – pflanzliche Produkte als „Eins-zu-eins“-Alternative betrachten. Im Prinzip bedeutet das: Wenn ein Restaurant bereits eine pflanzliche Alternative im Angebot hat, dann hat es kein Interesse daran, eine weitere Alternative einzuführen. Es sei denn, sie ersetzt die vorherige. So positiv es also auch ist, dass wir eine verstärkte Einführung pflanzlicher Produkte sehen – solange wir nicht über diese „Eins-zu-eins“-Denkweise hinauskommen, sind das nur kurzlebige Erfolge.

Nachhaltigkeit fördern durch Nudging

Kaufentscheidungen werden oft subtil von unserer Umwelt beeinflusst. Das können sich Restaurants und Geschäfte zunutze machen.

Glaubst du, dass Gastronomie-Fachkräfte diesen Technologien gegenüber künftig offener werden?

Es wird in naher Zukunft in jedem Fall eine weitreichende Integration pflanzlicher Alternativen im gesamten Lebensmittelmarkt geben. Meiner Meinung nach geht es nicht nur darum, wie wir die pflanzlichen Alternativen einführen, sondern auch darum, wie wir damit konventionelle Tierprodukte ersetzen.
Die Gastronomie-Branche muss aufwachen, sie braucht eine Revolution mit neuen Hotels und Restaurants, die nicht diesem traditionellen Glaubenssystem folgen, sondern den Status quo mit komplett pflanzenbasierten Konzepten aufbrechen. Sobald diese Unternehmen finanzielle Erfolge vorzuweisen haben, fangen auch die großen Player an, ihnen Aufmerksamkeit zu schenken und sind motiviert, ihr eigenes Geschäftsmodell entsprechend anzupassen.

Wir haben bereits jetzt pflanzliche Produkte, die so überzeugend nah an Fleisch herankommen, dass beide voneinander nicht mehr zu unterscheiden sind. Es wird natürlich trotz steigendem Gesundheits- und Umweltbewusstseins immer Leute geben, die Fleisch und Kuhmilchprodukte nicht aufgeben wollen. Für diese Menschen gibt es die nächste Technologie-Generation: kultivierte Produkte. Ich zähle stark auf diesen Fortschritt. Das Einzige, was diese Entwicklungen verzögern wird, ist die fehlende Akzeptanz von Gastronomie-Fachkräften, die sie als Bedrohung ihrer Geschäftsmodelle empfinden.

Von Bratwurst bis Salami: pflanzliche Fleischalternativen

Immer mehr Unternehmen erkennen das Potenzial pflanzlicher Wurst- und Fleischalternativen und bauen ihr Sortiment kontinuierlich aus.

Du bist der Mitbegründer von WiseFins, einem Gastronomie-Start-up mit ambitionierten Plänen. Was ist die Idee dahinter?

Das Hotelgewerbe ist leider absolut nicht nachhaltig. WiseFins entstand aus der Erkenntnis, dass wir alle die Verantwortung haben, unser Wissen und unsere Fähigkeiten zum Wohl aller Lebewesen einzusetzen. Unser Ziel ist es deshalb, nachhaltige, autarke, gesundheits- und gemeinschaftsfördernde Gastronomie-Projekte umzusetzen und zu betreuen. Dazu bedienen wir uns einer Mischung aus neuen und alten Technologien sowie Prinzipien der Kreislaufwirtschaft. Wir möchten eines dieser erfolgreichen Pionierunternehmen sein, auf das die großen Betriebe schauen und an dem sie ihre eigenen Geschäftsmodelle orientieren.

Vielen Dank für das Interview, Jerome.

 

Jerome Pagnier ist Redner auf der New Food Conference im August 2020 in Berlin. Sichern Sie sich jetzt Ihr Ticket und begleiten Sie uns in eine neue Ära des Essens.

Letztes Update: 17.04.2020

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