0 Prozent Mehrwertsteuer: ProVeg-Forderung vom DIW als sinnvoll bestätigt, Niederlande machen’s vor

10 Juni 2022

Deutschland sollte zu den europäischen Vorreitern zählen, so ProVeg

Berlin, 10.06.2022 – Der Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) Marcel Fratzscher hat sich hinter die Forderung nach einer Mehrwertsteuer-Befreiung von Obst, Gemüse und Hülsenfrüchte gestellt. Er nannte die Maßnahme, für die sich unter anderem die Ernährungsorganisation ProVeg ausspricht, gegenüber dem Handelsblatt „sozial klug“, „ökonomisch vertretbar“ und schnell umsetzbar. Zudem würde sie Menschen mit geringem Einkommen besonders zugute kommen.¹Neuerer, Dietmar (2022): Hamburg startet Initiative für Mehrwertsteuer-Aus bei Lebensmitteln, in: Handelsblatt. Veröffentlicht am 07.06.2022. Online unter: https://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/inflation-hamburg-startet-initiative-fuer-mehrwertsteuer-aus-bei-lebensmitteln/28405798.html
Die Niederlande sind bereits einen Schritt weiter und planen eine Gesetzesänderung. Auch Deutschland sollte zu den europäischen Vorreitern zählen, so ProVeg.

Mit der erneuten Verschärfung des Preisanstiegs bei Lebensmitteln steigt der öffentliche Druck: Seit diesem Jahr haben die Mitgliedstaaten der Europäischen Union die Möglichkeit, den Mehrwertsteuersatz für Obst und Gemüse auf 0 Prozent zu setzen. Sozial-, Verbraucher- und Umweltverbände – darunter ProVeg – hatten sich mit Blick auf die aktuelle Rekord-Inflation von 7,4 Prozent, aber auch als gesundheitsförderndes Lenkungsinstrument für die Maßnahme ausgesprochen. Zuspruch erhielten sie von Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir. Seither hält die Debatte zum Nulltarif für pflanzliche Grundnahrungsmittel in Deutschland an.

Die Niederlande und Hamburg drängen voran

Die Regierung in Den Haag hatte 2020 zunächst den ermäßigten Mehrwertsteuersatz von 6 auf 9 Prozent erhöht. In der Folge konnte sie jedoch beobachten, dass sich die Hürde für den Kauf von Obst und Gemüse besonders für die unteren Einkommensgruppen erhöhte.²Gabot.de (2021): EU: 0% MwSt. für Obst und Gemüse möglich. Veröffentlicht am 18.12.2021. Online unter: https://www.gabot.de/ansicht/eu-0-mwst-fuer-obst-und-gemuese-moeglich-413935.html Nun lenkt die niederländische Regierung gegen und plant, die Mehrwertsteuer auf Obst und Gemüse abzuschaffen – mit Rückenwind vom Bauernverband LTO: Eine Reduktion der Mehrwertsteuer könne auch die Einkommenschancen für Anbauer verbessern, erklärte dieser.³ Agra Europe (2022): Rabobank: Abschaffung der Mehrwertsteuer auf Obst und Gemüse bringt wenig, in: topagrar.com. Veröffentlicht am 25.01.2022. Online unter: https://www.topagrar.com/panorama/news/rabobank-abschaffung-der-mehrwertsteuer-auf-obst-und-gemuese-bringt-wenig-12810686.html Die notwendigen Gesetzesänderungen sollen nach dem Sommer erfolgen.⁴Repräsentantenhaus der Generalstaaten (2022): Parlamentarisches Papier 32793, Nummer 604 – Präventive Gesundheitspolitik. Bericht einer Ausschussdebatte vom 25.04.2022. Online unter: https://zoek.officielebekendmakingen.nl/kst-32793-604.html

DIW-Chef Fratzscher nennt noch weitere Argumente für den Nulltarif auf pflanzliche Grundnahrungsmittel. So wäre die Maßnahme für den Staat günstiger als der aktuelle Tankrabatt. Zudem würde sie, so die Erfahrung mit der temporären Steuersenkung von 2020, wirksam an die Verbrauchenden weitergegeben. Hamburgs Verbraucherschutzsenatorin Anna Gallina (Grüne) will auf der Verbraucherschutzministerkonferenz kommende Woche daher einen Vorstoß von Länderseite unternehmen.⁵ Neuerer, Dietmar (2022): Hamburg startet Initiative für Mehrwertsteuer-Aus bei Lebensmitteln, in: Handelsblatt vom 07.06.2022. Online unter: https://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/inflation-hamburg-startet-initiative-fuer-mehrwertsteuer-aus-bei-lebensmitteln/28405798.html Das Umweltbundesamt hat gestern zudem eine Besteuerung vorgeschlagen, die sich nach der Umweltfreundlichkeit von Produkten und Dienstleistungen richtet.⁶Vieweger, Hans-Joachim (2022): Vorschlag des Umweltbundesamtes: Entlastung über Wegfall der Mehrwertsteuer?, in: Tagesschau.de vom 09.06.2022. Online unter: https://www.tagesschau.de/wirtschaft/umweltbundesamt-mehrwertsteuer-101.html

Deutschland könnte Umdenken in Europa erzielen

„Die Absenkung der Mehrwertsteuer auf 0 Prozent für pflanzliche Grundnahrungsmittel wäre ein dringend gebotener Beitrag zur Entlastung von Haushalten mit niedrigem Einkommen. Denn sie leiden besonders unter den aktuell explodierenden Lebensmittelpreisen,“ betont ProVeg-Geschäftsführer Matthias Rohra. Da die Maßnahme auch ökonomisch überzeugt, fordert er: „Für eine zukunftsfähige, erschwingliche und nachhaltige Ernährung in Deutschland sollte die Bundesregierung umgehend handeln und dem Vorbild der Niederlande folgen.“ Und er prognostiziert: „Deutschland könnte damit ein europaweites Umdenken erzielen.“

Die aktuelle Zuordnung des ermäßigten und des regulären Mehrwertsteuersatzes gilt als schwer nachvollziehbar. So entfallen auf Babynahrung und Pflanzenmilch volle 19 Prozent, auf Eis, Gummibärchen und das Luxusprodukt Wachteleier dagegen nur 7 Prozent Mehrwertsteuer. ProVeg hat sich deshalb dafür ausgesprochen, auch pflanzliche Milchalternativen als Grundnahrungsmittel ermäßigt zu besteuern. Im Fall eines Nulltarifs würden sie somit ebenfalls von der Mehrwertsteuer befreit.