Politik
Pflanzliche Lebensmittel sind „Zu gut für die Tonne“!
12. April 2019
Im April 2019 vergab das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) bereits zum vierten Mal den „Zu gut für die Tonne“-Bundespreis. Ausgezeichnet wurden dabei Projekte, die zur Reduktion von Lebensmittelabfällen beitragen. Eine der schwerwiegendsten Formen der Lebensmittelverschwendung wurde dabei jedoch gänzlich übersehen: die Tierhaltung.
Jedes Jahr werden in der EU 88 Millionen Tonnen Lebensmittel im Handel und Haushalt weggeworfen. 173 kg wirft eine Europäerin oder ein Europäer somit jährlich in den Müll. 20 % der insgesamt produzierten Lebensmittel gehen damit in der EU verloren oder werden verschwendet. 1Fusions (2016): Estimates of European food waste levels. Online unter http://www.eu-fusions.org/phocadownload/Publications/Estimates%20of%20European%20food%20waste%20levels.pdf [04.04.2019] Die für den Bundespreis nominierten und ausgezeichneten Projekte zielen auf die Reduktion dieser hohen Abfallmenge und leisten damit zweifelsfrei einen wichtigen Beitrag zur Ressourcenschonung. Bedauerlich ist jedoch, dass sich der Kreis der Nominierten auch dieses Jahr wieder auf die Ebene des Handels und des Haushalts beschränkte. Ein größeres Problem als die geringe Wertschätzung krummer Karotten oder die mangelnde Kenntnis über die Bedeutung von Haltbarkeitsdaten stellt aus Sicht von ProVeg-Politik die Umwandlung von pflanzlichem in tierisches Protein dar.
Pflanzliche Ernährung ist ressourcenschonend
Eine pflanzliche Lebensweise bietet enormes Potenzial zur Reduktion von Lebensmittelverschwendung. Grund dafür ist, dass bei der Erzeugung tierischer Produkte ein erheblicher Anteil an Lebensmitteln verloren geht.
Tiere nutzen Energie aus pflanzlichen Futtermitteln, um sich zu bewegen, zu verdauen oder ihre Körpertemperatur aufrechtzuerhalten. Diese Energie steht später nicht mehr für den menschlichen Konsum zur Verfügung. Tatsächlich gehen 70–90 % der Kalorien aus dem eingesetzten Futter bei der Erzeugung tierischer Produkte „verloren“. Es wird dabei von den sogenannten „Veredelungsverlusten“ gesprochen. Die Menge an pflanzlichen Futtermitteln, die eine Person aus Europa durch den Prozess der Veredelung, also der Umwandlung pflanzlicher in tierische Kalorien „verschwendet“, beläuft sich nach einer vorsichtigen Schätzung von Compassion in World Farming auf 234 kg. 2CIWF (Compassion in World Farming) (2014): A Sustainable Food Policy for Europe: Towards a sustainable, nourishing and humane food policy for Europe and globally. Online unter https://www.ciwf.org.uk/media/5858105/a-sustainable-food-policy-for-europe-executive-summary.pdf [18.03.2019], Cassidy et. al (2013): Redefining agricultural yields: from tonnes to people nourished per hectare, in: Environ. Res. Lett. 8 (2013) 034015 (8pp), Online unter https://iopscience.iop.org/article/10.1088/1748-9326/8/3/034015/pdf [08.04.2019] Dies übersteigt sogar die eingangs genannte Menge von 173 kg.
ProVeg engagiert sich gegen Lebensmittelverschwendung
ProVeg hat sich für den Bundespreis beworben, um die Aufmerksamkeit von Öffentlichkeit und Politik auf die Lebensmittelverschwendung zu lenken, die mit der Erzeugung tierischer Produkte einhergeht. Als Beitrag gegen die sogenannten „Veredelungsverluste“ reichte ProVeg exemplarisch das tägliche vegane Mittagessen ein, das von den Mitarbeitenden in Berlin verzehrt wird.
Wie bereits in den vergangenen Jahren wurde der Lebensmittelverschwendung in der Tierhaltung auch bei dem diesjährigen Wettbewerb keine Aufmerksamkeit zuteil. Die Auswahl der Nominierten und der Preisträgerinnen und Preisträger zielte auf Lebensmittelverschwendung nach dem Verständnis der Bundesregierung ab. Somit war bereits von Beginn an absehbar, dass das Engagement von ProVeg nicht prämiert wird. Eine Auszeichnung war aber auch nie das Ziel. Vielmehr geht es darum, jede Möglichkeit zu nutzen, um die Potenziale pflanzlicher Lebensmittel öffentlich zu kommunizieren. Dafür geht ProVeg auch gern einmal unkonventionelle Wege.
Die Strategie der Bundesministerin Klöckner
Die Verschwendung von Lebensmitteln stellt nur ein Problem unter vielen dar, das mit der Produktion tierischer Produkte einhergeht. Die Tierhaltung ist des Weiteren entscheidende Treiberin des Klimawandels und Verursacherin einer Vielzahl von Umweltschäden. Hinzukommend begünstigt ein hoher Konsum von Fleisch, Milch und Eiern ernährungsmitbedingte Krankheiten wie Typ-2-Diabetes oder Herz-Kreislauf-Beschwerden. In Anbetracht der Unmenge an Problemen, die die Tierhaltung und der hohe Konsum tierischer Lebensmittel hervorruft, sollte die amtierende Ministerin für Ernährung und Landwirtschaft, Julia Klöckner (CDU), dringend eine Agrar- und Ernährungswende einläuten.
Stattdessen präsentierte die Ministerin vor Kurzem die „Nationale Strategie zur Reduzierung von Lebensmittelverschwendung“. Die dort aufgezeigten Handlungsoptionen sind freiwillig und erwähnen die Tierhaltung und den zu hohen Konsum tierischer Produkte mit keinem Wort. Die Tipps, die Klöckner den Verbraucherinnen und Verbrauchern zusätzlich an die Hand gibt, sind sicherlich nett gemeint, verdeutlichen aber gleichermaßen, wie ambitionslos dem Problem der Lebensmittelverschwendung entgegengetreten wird. Einen Einkaufszettel schreiben, Lebensmittel probieren, bevor sie final entsorgt werden, oder nicht mit leerem Magen einkaufen sind hier exemplarisch aufgeführt. Es bleibt somit weiter Aufgabe von ProVeg und anderen zivilgesellschaftlichen Akteurinnen und Akteuren, sich für gesetzlich vorgeschriebene Maßnahmen sowie gegen eine der gravierendsten Formen der Lebensmittelverschwendung einzusetzen. Dies wird nämlich bislang von der Regierung weitestgehend ignoriert.
Quellen[+]
↑1 | Fusions (2016): Estimates of European food waste levels. Online unter http://www.eu-fusions.org/phocadownload/Publications/Estimates%20of%20European%20food%20waste%20levels.pdf [04.04.2019] |
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↑2 | CIWF (Compassion in World Farming) (2014): A Sustainable Food Policy for Europe: Towards a sustainable, nourishing and humane food policy for Europe and globally. Online unter https://www.ciwf.org.uk/media/5858105/a-sustainable-food-policy-for-europe-executive-summary.pdf [18.03.2019], Cassidy et. al (2013): Redefining agricultural yields: from tonnes to people nourished per hectare, in: Environ. Res. Lett. 8 (2013) 034015 (8pp), Online unter https://iopscience.iop.org/article/10.1088/1748-9326/8/3/034015/pdf [08.04.2019] |