Politik
Koalitionsverhandlungen: Sorgt die Ampel für mehr pflanzliche Ernährung?
Yannick Beinecke 15. Oktober 2021

Quelle: pixabay / PixelAnarchy
In den Koalitionsverhandlungen zwischen SPD, Grünen und FDP gilt es, die Weichen für eine Ernährungswende zu stellen. Eine rote Linie der FDP könnte die Einigung erschweren.
Sondierungsgespräche weisen auf Ampel-Koalition hin
Nach der Bundestagswahl ist eine Koalition von SPD, Grünen und FDP (die sogenannte Ampel-Koalition) der klare Favorit. Sowohl in der Bevölkerung1ZDF (2021): Mehrheit wünscht sich eine Ampel-Koalition. ZDF Nachrichten vom 01.10.2021. Online unter: https://www.zdf.de/nachrichten/politik/politbarometer-ampel-koalition-scholz-kanzler-100.html [14.10.2021] als auch bei den genannten Parteien. Dies haben die ersten Wochen der Sondierungsgespräche ergeben.
Bei den nun folgenden Koalitionsverhandlungen werden die Parteien allerdings noch einige Kompromisse schließen müssen. Insbesondere mit der FDP gibt es viele fundamentale Unterschiede in verschiedenen Politikbereichen. Laut Robert Habeck (Bundesvorsitzender der Grünen) bestehen „inhaltlich jede Menge Konflikte“ – trotz der positiv verlaufenen Vorsondierungen.2Remme, K. (2021): „Wir haben inhaltlich jede Menge Konflikte“. Deutschlandfunk vom 10.10.2021. Online unter: https://www.deutschlandfunk.de/gruenen-co-vorsitzender-robert-habeck-zu-sondierungen-wir.868.de.html?dram:article_id=504038 [12.10.2021] Wie sieht es im Bereich Tierhaltung und Förderung pflanzlicher Ernährung aus?
Koalitionsverhandlungen entscheidend für eine Wende in der Agrarpolitik
ProVeg hat bereits vor der Bundestagswahl die Positionen der Parteien verglichen. Die SPD und die Grünen stehen sich, wie bei vielen Themen, auch in der Agrar- und Ernährungspolitik nahe. Gerade in diesem Bereich dürfte die Kompromissfindung mit der FDP am schwierigsten werden. Gleichzeitig verursacht die Tierhaltung massive Probleme, die in Zukunft eher zu- als abnehmen werden.
Die Verhandlerinnen und Verhandler sind bei den Koalitionsverhandlungen in der Verantwortung, sich auf ein schlüssiges Gesamtkonzept zu einigen. Dabei muss die drastische Reduktion der gehaltenen „Nutztiere“, eine umfassende Förderung pflanzlicher Ernährung und der Abbau sämtlicher Subventionen für klimaschädliche Praktiken in der Landwirtschaft zentral sein.
Ernährungspolitik spielt bei der FDP kaum eine Rolle
Maßgeblich für die Positionen der Parteien in den Koalitionsverhandlungen sind neben den Wahlprogrammen auch andere Positionierungen, wie sie beispielsweise aus Wahlprüfsteinen und Entscheidungshilfen zur Wahl hervorgehen.
Das Wahlprogramm der FDP enthält beispielsweise kaum konkrete Pläne zur Ernährungspolitik. Lediglich in 2 Sätzen wollen die Liberalen zum einen „transparente Nährwertinformationen“, zum anderen mehr Ernährungsbildung und weniger Lebensmittelverschwendung.3 FDP (2021): Das Wahlprogramm der Freien Demokraten zur Bundestagswahl 2021. Online unter: https://www.fdp.de/nie-gab-es-mehr-zu-tun [13.10.2021] Eine weitere Ausführung dazu fehlt. Auch bei den Wahlprüfsteinen von ProVeg antwortete die FDP nicht auf die gestellten Fragen.
Beim Umbau der Tierhaltung verweist die FDP auf europäische Lösungen.4 Awater-Esper, S. (2021): Wo liegen die Schnittmengen von FDP und Grünen in der Agrarpolitik? Topagrar vom 28.09.2021. Online unter: https://www.topagrar.com/management-und-politik/news/wo-liegen-die-schnittmengen-von-fdp-und-gruenen-in-der-agrarpolitik-12699506.html [13.10.2021] Allerdings wurde die „Gemeinsame Agrarpolitik“ (GAP) der EU gerade erst bis 2027 beschlossen und lässt sich in diesem Zeitraum nicht mehr beeinflussen. Das bedeutet, dass eine europäische Lösung für die Probleme der deutschen Landwirtschaft in der kommenden Legislaturperiode kaum möglich ist.
Das umfassendste Programm haben die Grünen
Die Grünen widmen dem Thema Ernährung ein eigenes Kapitel.5Bender, H. (2021): Grüne und FDP suchen Schnittmengen. Lebensmittelzeitung vom 30.09.2021. Online unter: https://www.lebensmittelzeitung.net/politik/nachrichten/bundestagswahl-gruene-und-fdp-suchen-schnittmengen-161718 [13.10.2021] Dort sprechen sie sich für eine Förderung pflanzlicher Alternativen aus. Auch wollen sie „vegetarische und vegane Ernährung attraktiver und zugänglich für alle Menschen machen“.6Bündnis 90/Die Grünen (2021): Grünes Wahlprogramm zur Bundestagswahl 2021. Online unter: https://www.gruene.de/artikel/wahlprogramm-zur-bundestagswahl-2021 [13.10.2021] In ihrem Wahlprogramm planen sie einen „Tierschutz-Cent“ zur Finanzierung des Umbaus der Tierhaltung. Diese Abgabe soll beim Kauf tierischer Produkte anfallen.
Die EU-Agrarsubventionen sollen bei den Grünen an Leistungen für Klima-, Umwelt- und Tierschutz gebunden sein. Sie wollen außerdem in der Tierhaltung eine Bindung an Fläche und Obergrenzen von pro Stall gehaltenen Tieren.
SPD und Grüne sind sich bei den Koalitionsverhandlungen inhaltlich nah
Die SPD wird als Wahlgewinnerin mit Olaf Scholz den Bundeskanzler stellen, sollte es zu einer Ampel-Koalition kommen. Inhaltlich steht sie den Grünen beim Umbau der Tierhaltung ebenfalls näher als der FDP. So will auch die SPD die sogenannte Nutztierhaltung dezentralisieren und ein Maximum von 2 Großvieheinheiten pro Hektar festlegen.
Es gibt allerdings auch Unterschiede: Die SPD will zwar die EU-Fördergelder stärker an Klima- und Umweltschutzmaßnahmen binden, hat aber keinen zusätzlichen Ansatz auf nationaler Ebene. Eine steuerliche Besserstellung pflanzlicher Ersatzprodukte plant die SPD im Gegensatz zu den Grünen nicht.
Koalitionsverhandlungen sind ausschlaggebend für die Zukunft
Für die Agrar- und Ernährungspolitik, insbesondere als Teil der Klimapolitik, ist die kommende Legislaturperiode entscheidend. Dennoch wird deren Stellenwert bei den Koalitionsverhandlungen nicht besonders groß sein. Dabei könnte die Ernährungspolitik den Grünen zufallen, da insbesondere das FDP-Programm in diesem Bereich dürftig ist. Schwieriger wird es beim Tierschutz-Cent der Grünen. Dieser widerspricht der mehrfach formulierten „roten Linie“ der FDP, keine Steuererhöhungen einzuführen.
Grüne und SPD haben viele Gemeinsamkeiten. Sie unterscheiden sich eher in der Ausprägung als in der Art der Maßnahmen. Es dürfte ihnen leicht fallen, Kompromisse zu finden. Mit den Ergebnissen der Zukunftskommission Landwirtschaft und der Borchert Kommission stehen den Parteien bereits ambitionierte Pläne zum Umbau der Landwirtschaft zur Verfügung. Diese sollten auch in den Koalitionsverhandlungen als Leitplanken dienen. Dann könnte die kommende Regierung einen großen Schritt in Richtung einer gesunden, klimafreundlichen und pflanzlichen Ernährung machen.
Quellen[+]
↑1 | ZDF (2021): Mehrheit wünscht sich eine Ampel-Koalition. ZDF Nachrichten vom 01.10.2021. Online unter: https://www.zdf.de/nachrichten/politik/politbarometer-ampel-koalition-scholz-kanzler-100.html [14.10.2021] |
---|---|
↑2 | Remme, K. (2021): „Wir haben inhaltlich jede Menge Konflikte“. Deutschlandfunk vom 10.10.2021. Online unter: https://www.deutschlandfunk.de/gruenen-co-vorsitzender-robert-habeck-zu-sondierungen-wir.868.de.html?dram:article_id=504038 [12.10.2021] |
↑3 | FDP (2021): Das Wahlprogramm der Freien Demokraten zur Bundestagswahl 2021. Online unter: https://www.fdp.de/nie-gab-es-mehr-zu-tun [13.10.2021] |
↑4 | Awater-Esper, S. (2021): Wo liegen die Schnittmengen von FDP und Grünen in der Agrarpolitik? Topagrar vom 28.09.2021. Online unter: https://www.topagrar.com/management-und-politik/news/wo-liegen-die-schnittmengen-von-fdp-und-gruenen-in-der-agrarpolitik-12699506.html [13.10.2021] |
↑5 | Bender, H. (2021): Grüne und FDP suchen Schnittmengen. Lebensmittelzeitung vom 30.09.2021. Online unter: https://www.lebensmittelzeitung.net/politik/nachrichten/bundestagswahl-gruene-und-fdp-suchen-schnittmengen-161718 [13.10.2021] |
↑6 | Bündnis 90/Die Grünen (2021): Grünes Wahlprogramm zur Bundestagswahl 2021. Online unter: https://www.gruene.de/artikel/wahlprogramm-zur-bundestagswahl-2021 [13.10.2021] |

Über den Autor
Yannick Beinecke
Political Outreach Intern